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Fernunterricht – Eine Kopie von Präsenzunterricht?

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Was ist Fernunterricht? Was ist Fernunterricht nicht?

In den vergangenen Wochen habe ich mich mit vielen engagierten KollegInnen über den Fernunterricht (in Zeiten von Corona) unterhalten. Die wohl wichtigste Erkenntnis, die jeder, der mit dieser Form des Unterrichts momentan konfrontiert wird, irgendwann erwirbt, ist:

Die Methodik und Didaktik von Präsenzunterricht lässt sich nicht 1:1 auf den digitalen Fernunterricht übertragen!

Wer versucht sein „Programm“, welches er/sie sonst in der Schule „abspult“ im Digitalen genauso zu verwirklichen, wird schnell an seine Grenzen stoßen und merken: Das klappt so nicht! Während man im Präsenzunterricht (zumindest in der Theorie) jederzeit der Regisseur des Geschehens sein kann, gibt es im Fernunterricht große Zeiträume, in denen man keinen oder nur sehr geringen Einfluss auf das Handeln aller Beteiligten hat.

Unterschiedliche Voraussetzungen

Ein entscheidender Aspekt für den Erfolg von Online-Unterricht ist die technische Ausstattung aller Beteiligten. Und genau hier beginnen bereits die ersten Probleme: Die technische Ausstattung und die Möglichkeiten der Unterstützung durch die Erziehungsberechtigten unterscheiden sich zum Teil massiv!

Manche SchülerInnen haben ihren eigenen Laptop und  zudem Eltern, die die Zeit und das Können haben, um ihre Kinder beim Lernen zu unterstützen. In anderen Familien teilen sich 4 Geschwister ein Tablet und die Eltern haben entweder nicht die Fähigkeiten und/oder die Zeit, um den Kindern bei ihren Aufgaben zu helfen. 

Bildungsungerechtigkeit ist auch im klassischen Schulunterricht ein Thema – im Fernunterricht wird diese aber noch einmal verstärkt!

Mögliche Ansätze und Impulse

All diese Probleme zu lösen wird nicht möglich sein – aber man kann versuchen diese im Hinterkopf zu behalten, wenn man sich an die Planung des digitalen Unterrichtes heranwagt.

Das kann dann zum Beispiel bedeuten:

    • Den SchülerInnen und den Eltern eine gute Übersicht über die zu leistenden Aufgaben ermöglichen (z.B. mit einer digitalen Pinnwand [Padlet, Trello, Etherpad, …] mit Wochenplänen, einer ToDo-Liste, … )
    • Verlässliche und wiederkehrende Kommunikationswege finden (z.B. Video-Konferenzen [I-Serv], Chats/Messenger, Foren, Blogs, digitale Pinnwände, …)
      • Kinder, die auf digitalem Wege nicht erreicht werden können auf anderem Wege in das Geschehen einbinden (z.B. Anrufe, notfalls Post, …)
  • Individuelle (familiäre und technische) Voraussetzungen bedenken und berücksichtigen
  • Sich bei der Vermittlung der Inhalte auf wesentliche Aspekte beschränken
    • Der Fokus kann und soll auf Grundlagen für das kommende Schuljahr liegen – Inhalte und Themen für den Unterricht müssen „entschlackt“ werden.
  • Den SchülerInnen regelmäßig Feedback zu ihrem Lernstand geben – dies brauchen die SchülerInnen um sich selbst einschätzen zu können
    • Und hier sind explizit keine Bewertungen gemeint, die den Druck noch einmal erhöhen würden!
  • Sich selbst regelmäßig Feedback zum Onlineunterricht von den SchülerInnen und ggf. von den Eltern einholen
    • Was klappt gut, was kann optimiert werden?
  • Auch im digitalen Unterricht eine Methodenvielfalt anbieten
    • Wann immer möglich kreative und handlungsorientierte Aufgaben ermöglichen
  • Die Anzahl der Plattformen und Programme, die die SchülerInnen nutzen können oder sollen möglichst klein halten
    • Absprachen zwischen KollegInnen insbesondere zwischen FachkollegInnen der gleichen Klassen(stufen) sind notwendig.
  • Die Chancen des Online-Unterrichts als solche begreifen und nutzen
    • Wenn nicht alle zur gleichen Zeit das Gleiche machen müssen, dann ergeben sich vielfältige Möglichkeiten der Differenzierung und Individualisierung – die Aufgabenformate müssen diese aber zulassen!

Und das Wichtigste...? Begegnungen schaffen!

Online-Unterricht sollte meiner Meinung nach aber nicht (nur) die Inhalte im Blick behalten!
Von einigen meiner SchülerInnen habe ich in den vergangenen Wochen sinngemäß gehört: 

Ich bin ja „früher“ eigentlich gar nicht so gerne in die Schule gegangen – aber jetzt, wo ich nicht mehr darf, merke ich erst, was mir fehlt. Ich vermisse meine MitschülerInnen, ich vermisse meine FreundInnen und ich vermisse meine Lehrer.

Und ich glaube: Diesen Aspekt sollte man auf keinen Fall außer Acht lassen. Die Kinder und Jugendlichen waren es gewohnt ihre MitschülerInnen, die häufig auch FreundInnen sind, fast jeden Tag zu sehen. Sie hatten so (fast) jeden Tag Kontakt mit Gleichaltrigen. Das ist vom einen auf den anderen Tag fast komplett weggefallen. Jenseits aller Stoffvermittlung ist in meinen Augen daher eines wichtig:

Begegnungen schaffen! 

Die Video-Konferenz hat nicht nur den Hintergrund Inhalte zu vermitteln und Rückfragen zu ermöglichen – sie ermöglicht den SchülerInnen ihre FreundInnen zu sehen und sich zu unterhalten, sie ermöglicht den Lehrer / die Lehrerin zu sehen, sie ermöglicht soziale Interaktion! Gleiches gilt (in abgeschwächter Form) für Chats, Diskussionen in Foren oder Blogs, Videos bei Challenges etc.

Und die Probleme nicht vergessen!

Und zu guter Letzt: Der wahrscheinlich unangenehmste Teil: Man sollte die Probleme nicht vergessen. Wir alle kennen die SchülerInnen bei denen die Eltern häufig streiten, bei denen es Krankheiten innerhalb der Familie gibt, bei denen die Eltern sich scheiden lassen, bei denen psychische oder physische Gewalt vorkommt – kurz um: Bei denen die SchülerInnen größere und kleinere Probleme haben.

In der Schule haben wir ab und zu (nicht immer!) die Möglichkeit, auf solche Probleme aufmerksam zu werden, weil wir Dinge sehen, hören, mitbekommen oder weil die Kinder sich uns direkt anvertrauen. Dies ist momentan nicht (uneingeschränkt) möglich.

Insofern kann das Ergebnis von „Fernunterricht“ vielleicht auch einfach mal sein, dass man sich per Anruf, Chat oder im Zuge einer Video-Konferenz danach erkundigt hat, wie es den SchülerInnen eigentlich geht und eventuell einfach mal zuhört – das sollten wir bei allem Druck nun auch in der Corona-Zeit unseren Stoff zu vermitteln nicht vergessen .Auch hier haben wir eine Verantwortung!

Gemeinsam gestalten

Der größte Fehler, den wir meiner Meinung nach machen könnten wäre, wenn nun jeder alleine vor sich hinarbeitet! Am besten schaffen wir das alles, wenn wir gemeinsam arbeiten und uns gegenseitig unterstützen. Ich freue mich auf eure Ideen, Hinweise, Tools, Konzepte für den digitalen Unterricht in Corona-Zeiten.

Jonas

Gymnasiallehrer an einer IGS, Interesse an digitaler Unterrichtsentwicklung & Mathematikdidaktik. Vater und Hobby-Läufer