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„Warum gibt es Krieg in Europa?“ Wie wir mit Kindern in der Schule über der Krieg in der Ukraine sprechen können.

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„Manchmal kann die Bruchrechnung auch noch ein wenig warten – und manchmal können wir mit unseren Schüler*innen auch einfach Kindernachrichten schauen, darüber reden, darüber schweigen und darüber den Kopf schütteln.“

Als ich am Donnerstag nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine in meine 8. Klasse komme, ist diese gespenstisch ruhig. Auf Rückfrage sagen mir einige Schüler*innen nur einzelne Begriffe wie "Krieg" oder "Ukraine".

Also werfe ich das Konzept der kommenden Stunden über den Haufen – und wir sprechen recht spontan über das, was in der Ukraine gerade passiert. Einige wissen richtig gut Bescheid, schauen täglich mit ihren Eltern die Tagesschau. Andere haben noch gar nicht gehört, was in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag passiert ist. Also schauen wir zunächst die Logo-Nachrichten der letzten zwei Tage, damit alle wissen, worüber wir reden. Dann bekomme ich viele Fragen gestellt, die den Schüler*innen unter den Nägeln brennen.

 

Viele Fragen kann ich leicht beantworten - bei anderen Fragen ringe ich um eine kindgerechte, dennoch richtige Antwort - oder bin selbst einfach sprachlos.

Ich bekomme viele Fragen gestellt – einige kann ich schnell beantworten, etwa was die „NATO“ ist, was „Sanktionen“ bedeuten oder was mit „Propaganda“ gemeint ist oder auch was „Atomwaffen“ eigentlich sind und warum diese „schlimmer“ sind als andere Waffen.

Bei anderen Fragen ringe ich einige Sekunden um eine Antwort oder bin selbst sprachlos, etwa wenn ich gefragt werde „Warum macht Putin das?“ oder „Haben Sie Angst vor einem dritten Weltkrieg?“ oder „Kann das bei uns auch passieren?“

Wir sprechen lange über Bilder, die die Schüler*innen gesehen und über Social Media zugesandt bekommen haben. Und wir nehmen uns ganz viel Zeit und Raum, damit alle ihre Ängste und Sorgen äußern können. Zuweilen schweigen wir alle einige Zeit, bevor jemand noch etwas loswerden möchte. Am Ende merke ich: Das war allen wichtig. Ich glaube nicht zuletzt mir selbst.
Und die Tatsache, dass „Herr Wagner“ hier nicht auf alle Fragen eine Antwort hat sondern manchmal einfach sagt „Ich weiß es leider auch nicht“ oder „Mir macht das auch Sorgen“ zeigt den Schülern glaube ich: Herr Wagner ist „echt“.

An diesem Tag sollte es nicht das einzige mal gewesen sein, dass ich mit Schüler*innen über den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine sprechen sollte. Und es wird wohl auch für die kommenden Tage, Wochen oder Monate nicht das letzte mal gewesen sein.

 

Wie gehen wir in den nächsten Wochen mit der Thematik um?

Also habe ich mir Gedanken gemacht, was wichtig ist, wenn man diese Thematik in der Schule behandelt – selbstverständlich nicht alleine! Ich habe mit Kolleg*innen meiner Schule, im Twitterlehrerzimmer und bei Instagram geschmökert und diskutiert. Und natürlich habe ich diverse Handreichungen dazu gelesen.

Neben vielen anderen hilfreichen Tipps, Hinweisen und Anregungen sind mir insbesondere die der Kinder- und Jugendpsychiaterin Kerstin Stellermann Strehlow „hängen geblieben“ – sie hat mit der Journalistin Elisabeth Koblitz gesprochen und gibt sehr hilfreiche Anregungen, wie man die Thematik mit Kindern besprechen kann (und was man vermeiden sollte).

Darüber hinaus fand ich die Tipps von Pia Lamberty äußerst zielführend – sie erklärte bei Instagram unlängst, worauf man beim Umgang mit dem Krieg Russlands gegen die Ukraine bei Social Media achten sollte – da ich merkte, dass dies meinen Schüler*innen äußerst schwer fiel, habe ich später auch das behandelt.

Wenn ich also im folgenden also „laut“ darüber nachdenke, wie man diesen Krieg sinnvoll und kindgerecht in der Schule behandeln kann – dann beziehe ich mich dabei auf meine eigenen Erfahrungen aus meinem Unterricht, auf Tipps und Anregungen von Kerstin Stellermann Strehlow sowie Pia Lamberty sowie auf zahlreiche Gespräche aus meiner Schule, aus dem Twitterlehrerzimmer sowie von Instagram. 

Mein „lautes Denken“ ist kein ausformuliertes Konzept, kein „der Weisheit letzter Schluss“ sondern soll bitte als das verstanden werden, was es ist: Meine eigenen Überlegungen, wie ich in den nächsten Tagen, Wochen oder Monaten mit meinen Schüler*innen den Krieg thematisieren will und kann. Über Anregungen aller Art freue ich mich deshalb sehr – denn ich glaube, dass uns Lehrkräften in der nächsten Zeit eine wichtige Rolle zukommen wird. Und vielleicht helfen meine Überlegungen ja dem einen oder anderen!

1) Nicht "proaktiv" mit den Kindern über Krieg sprechen.

Kerstin Stellermann Strehlow gibt zunächst den Hinweis, nicht proaktiv mit dem Thema „Krieg“ zu beginnen. Im Falle meiner Klasse bemerkte ich aber: Das ist auch nicht notwendig. Viele hatten bereits vom Krieg gehört, einige hatten mit ihren Eltern gesprochen, einige waren aber auch zunächst mit den Bildern und Videos aus Social Media allein.

 

2) Informationsportale für Kinder nutzen

Da es zudem aber auch eine reihe von Schüler*innen gab, die gar nichts oder nur wenig von den Geschehnissen mitbekommen hatten, haben sich die Logo-Nachrichten als sehr wertvoll erwiesen: Informative Nachrichten, kaum bis gar kein Hintergrundwissen notwendig und bereits kindgerecht aufgearbeitet.

Alternative sinnvolle Portale für „kindgerechte“ Nachrichten und Hintergrundinformationen sind:

Wenn mit Hilfe der Kindernachrichten die Fakten soweit „auf dem Tisch“ sind braucht es meines Gefühls nach kein besonderes Unterrichtsmaterial, keine Arbeitsblätter, keine Schaubilder.

Was die Kinder brauchen ist eine Ansprechpartnerin oder einen Ansprechpartner, dem sie nun Fragen stellen können, von dem/der sie ernstgenommen werden und der sich Zeit nimmt!

Wer dennoch Material sucht findet das mittlerweile in Hülle und Fülle:

3) Zeit nehmen

Zeit ist in meinen Augen das Wichtigste. Nicht alle Schüler*innen haben zu Hause Ansprechpartner*innen um über die Geschehnisse zu sprechen. Zugleich sind fast ausnahmslos alle Schüler*innen mit Bildern, Videos und Berichten über den Krieg informiert.

Sie brauchen also Erwachsene, die ihnen Fragen beantworten, Zuhören und mit denen sie über ihre Ängste sprechen können.

4) Authentisch bleiben

Kerstin Stellermann Strehlow betont, wie wichtig es sei, authentisch zu bleiben: Man darf auch mal keine Antwort haben oder sagen, dass man sich Sorgen macht.

5) Im Hier und Jetzt bleiben

Zugleich betont Kerstin Stellermann Strehlow, dass es wichtig sei im „Hier und Jetzt“ zu bleiben. Das bedeutet: Keine Zukunftsvisionen von etwaigen Szenarien vom 3. Weltkrieg oder Nuklearkriegen besprechen. Stattdessen betonen, dass wir in Sicherheit sind und das sehr viele Menschen sich bemühen, dass das auch so bleibt und dass der Krieg beendet wird. 

6) Social Media thematisieren

Gerade unsere Schüler*innen sind natürlich viel auf Social Media unterwegs. Pia Lamberty gibt hier wertvolle Tipps, die in Teilen gut mit den Schüler*innen thematisiert werden können.

Die Schüler*innen erhalten bei Whatsapp, Instagram, TikTok, … Informationen, können diese häufig nicht auf ihren Wahrheitsgehalt bewerten. Folgende „Grundregeln“ können Schüler*innen helfen:

  • Informationen / Bilder / Videos nicht einfach teilen: Wenn ich nicht weiß, dass die Information stimmt, das Bild oder das Video echt ist, teile ich es nicht!
  • Keine Gerüchte teilen: Wenn ich mir nicht sicher bin, ob etwas stimmt, kann ich das mit Freunden und Familie besprechen. Nicht alles öffentlich diskutieren und so die Reichweite von Posts erhöhen.
  • An die Betrachtenden denken: Ich teile nicht (schon gar nicht ohne Warnung) Bilder und Videos von Verletzten oder Sterbenden
  • Keine sicherheitsrelevanten Informationen teilen: Ich teile keine Informationen, die Menschen vor Ort in Gefahr bringen könnten.

7) Und die Eltern?

Ich bin in den letzten Tagen tatsächlich schon ein paar mal von Eltern angesprochen worden, wie ein „richtiger“ Umgang mit der Krise zu Hause aussehen kann.

Der Bayrische Rundfunk hat dafür eine, wie ich finde, sehr gute Übersicht erstellt!

Im Kern sind es die gleichen Ratschläge wie für uns Lehrkräfte:

  • Nicht proaktiv ansprechen
  • Gesehene Bilder und Videos besprechen
  • Eigene Ratlosigkeit zulassen
  • Authentisch bleiben
  • Die Problematik von sozialen Medien thematisieren
  • „Kontrolle“ behalten: Es gibt Probleme, und es gibt Ängste. Aber es gibt auch immer Ansätze für Lösungen. 

Ein Plädoyer

Und am Ende noch ein Plädoyer von mir…Wir alle sind (durch Corona noch stärker) in unserem „ganz eigenen Film“: Klassenarbeiten müssen geschrieben und Curricula erfüllt werden. Zeit in Schule ist knapp und im Hinterkopf spukt immer schon wieder das nächste Thema, die nächste Klasse, die nächste Prüfung herum.

Dennoch sollten wir uns im Klaren sein:

  • Wir sind für unsere Schüler*innen wichtige Ansprechpartner*innen, wichtige Vorbilder und häufig wichtige Bezugspersonen.
  • Nicht alle Schüler*innen haben zu Hause Erwachsene, mit denen sie über die Ereignisse, über ihre Sorgen und Ängste sprechen können.

Insofern: Manchmal kann die Bruchrechnung auch noch ein wenig warten – und manchmal können wir mit unseren Schüler*innen auch einfach Kindernachrichten schauen, darüber reden, darüber schweigen und darüber den Kopf schütteln. 

Jonas

Gymnasiallehrer an einer IGS, Interesse an digitaler Unterrichtsentwicklung & Mathematikdidaktik. Vater und Hobby-Läufer