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Wie meistern Schulen die Pandemie? Dringende Veränderungen für das Corona-Frühjahr 2021

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Ein konstruktiver Versuch zu sammeln, was es jetzt braucht, damit Schule auch im Corona-Frühjahr 2021 funktionieren kann... (Meine persönliche Meinung...)

Wir schreiben das Jahr 2021 – die Coronapandemie beschäftigt Deutschland nun nicht ganz ein Jahr. Der zweite „echte“ Lockdown inklusive Schulschließungen ist Realität und wird voraussichtlich auch noch einige Zeit andauern!

Defizite im Bildungsbereich gibt es viele und über diese wurde bereits ausführlich an vielen Stellen geschrieben, gesprochen! Häufige und besonders drängende Punkte sind:

  • Mangelnde digitale Ausstattung bei LehrerInnen
  • Mangelnde digitale Ausstattung bei SchülerInnen
  • Grundsätzliche Probleme bei der Netzabdeckung in Deutschland
  • Probleme mit nicht funktionierenden oder instabilen Lernplattformen (z.B. für Videokonferenzen)
  • Mangelnde Fähigkeiten bei einigen LehrerInnen bezüglich „neuer“ Medien

Viele dieser Defizite basieren auf Versäumnissen der letzten Jahre oder Jahrzehnte und werden sich nun nicht innerhalb kurzer Zeit beheben lassen. Ich möchte versuchen, ein paar Dinge zu nennen, die es meines Erachtens nach jetzt bräuchte, um das Beste aus der aktuellen Situation zu machen!

Kurzfristig gedacht, (weitgehend) nicht langfristig

Das deutsche Schulsystem bräuchte eine ganze Reihe von Dingen… auch dazu habe ich im November schon einmal meine Gedanken niedergeschrieben (Die Frage nach Unterricht im 21. Jahrhundert ist eine didaktische – keine technische!) und diese anzugehen ist in meinen Augen sehr wichtig! Zugleich stehen wir aufgrund der Coronapandemie aktuell vor einem ganz aktuellen Problem, welches jetzt kurzfristig bestmöglich gelöst werden muss!

Ich möchte hier meine Gedanken zusammentragen, was jetzt ganz kurzfristig zu tun wäre, damit wir mit Schule durch die Pandemie kommen.

Ein paar ganz konkrete Punkte

Wir alle (LehrerInnen, PolitikerInnen, SchülerInnen, Eltern, …) müssen uns eingestehen: Das ist kein normales Schuljahr! Das bedeutet: Wir können es auch nicht so behandeln! Und daraus folgt, dass Prüfungen, Notengebung, … nicht die Priorität haben sollten! Viel mehr müssten in Zeiten von Distanzlernen Dinge in den Blick genommen werden, die jetzt wirklich relevant sind: Beziehungsarbeit und funktionierendes Lernen (Und das hat nichts mit Leistungsüberprüfungen zu tun).

Gerade aufgrund der oben skizzierten grundsätzlichen Probleme, also weil LehrerInnen und SchülerInnen nicht optimal mit digitalen Endgeräten ausgestattet sind und LehrerInnen nicht flächendeckend gut für den Distanzunterricht fortgebildet sind, braucht es, damit Beziehungsarbeit und Lernen überhaupt in der Breite gelingen kann… funktionierende und einfach zu bedienende Lernplattformen.

Ja, es gibt sie, die von den Ländern, Städten, … bereitgestellten „Lernplattformen„. Ja, diese bieten Kommunikationstools wie Chats, Foren, Videokonferenzen. Ja, sie bieten die Möglichkeiten, um Aufgaben bereitzustellen und manchmal auch zu kommentieren. Aber die meisten davon laufen instabil, sind komplex zu bedienen, brauchen einige „Kniffe“, damit sie (halbwegs) funktionieren. Und nun kommt alles zusammen. Mangelnde technische Ausstattung, teilweise fehlendes technisches Knowhow bei LehrerInnen und SchülerInnen sowie nicht funktionierende oder instabile Lernplattformen. Wer versucht eine Videokonferenz auf einer instabilen Plattform mit einem alten Smartphone zu nutzen, wird seltener erfolgreich sein, als wenn er/sie ein stabiles Tool nutzen kann. Es gibt sie, die stabilen Tools. Doch diese sind in der Regel von amerikanischen Herstellern und sind aktuell vielfach von offizieller Seite aus nicht gestattet. Einige nutzen Tools wie MS Teams, Zoom, Skype weil es mit diesen einfach funktioniert. Weil die Verbindungen stabiler sind, weil die SchülerInnen zuverlässiger an ihre Aufgaben kommen und die Nutzung schlicht weniger Einarbeitung braucht. Hier kommt weniger Frust bei allen Beteiligten auf. Aber erlaubt ist das eben vielfach nicht. 

Der Grund, warum diese Plattformen häufig nicht gestattet sind ist ein wichtiger: Datenschutz! Und zwar bei denen, deren Daten es ganz besonders zu schützen gilt, nämlich bei den Kindern. Zugleich bedeuten datenschutzkonforme Plattformen in der Realität aber häufig: Nicht (richtig) nutzbar oder nur mit deutlich mehr „Atem“ und Frust, als bei den anderen Diensten. Die Frage, ob es hier nicht einen Mittelweg geben kann, muss gestellt werden!

Und was bedeutet das dann in der täglichen Praxis und Erfahrung?

  • Viele LehrerInnen sind frustriert, weil ihr geplanter Unterricht bzw. ihre erarbeiteten Konzepte dann nicht funktionieren, weil die erlaubten Plattformen oft nicht (richtig) funktionieren. 
  • Viele SchülerInnen sind frustriert, weil sie merken, dass sie nicht so gut zurechtkommen wie im „Präsenzunterricht“. Nicht selten kommt dann das Unverständnis: Warum bekommen die LehrerInnen das denn nicht besser hin? Zugleich kommt die Frage: Warum nutzt die Nachbarschule Teams? Oder Zoom? Und warum geht es dort besser?
  • Viele Eltern sind frustriert, weil sie merken, dass Videokonferenzen instabil laufen, SchülerInnen teilweise ihre Aufgaben nicht einsehen oder bearbeiten können und am Ende häufig „Arbeitsblätter“ und „Buchseiten“ abzuarbeiten sind, bei deren Bearbeitung die Eltern häufig stark gefordert sind, denn die SchülerInnen kommen damit alleine nicht zurecht. Und Eltern sagen dann vollkommen zurecht: Wie soll das gehen, wenn ich nebenbei im Homeoffice arbeite. Zugleich sehen sie, wie SchülerInnen und LehrerInnen mit der Technik kämpfen und nutzen häufig für die eigene Arbeit Tools der amerikanischen Hersteller und merken: Es liegt nicht am Internet, sondern schlicht an den verwendeten Plattformen – warum also mühen sich LehrerInnen und SchülerInnen damit ab?
  • Von ganz anderen Problemen, die sich dadurch ergeben, will ich hier gar nicht anfangen (Bildungsungerechtigkeit: Die Verlierer dieser Zeit sind dann insbesondere die Kinder, bei denen die Eltern nicht die Zeit oder die Kompetenz haben, um beim Unterricht zu helfen, bei denen die Kinder keine digitalen Endgeräte haben oder diese mit Geschwistern teilen müssen, …)

Und was müsste nun kurzfristig passieren?

Meine ganz persönliche Meinung: Das müssten nun passieren:

  1. Die Länder müssten den Schulen funktionierende Plattformen zur Verfügung stellen. Die Coronapandemie stellt LehrerInnen, SchülerInnen und Eltern vor genügend Probleme. Dabei noch mit umfassenden technischen Problemen kämpfen zu müssen frustriert alle beteiligte und behindert Schulen dabei, gut durchdachte Konzepte umzusetzen. Hier müssen pragmatische Lösungen her. Es kann nicht sein, dass LehrerInnen, SchülerInnen und Eltern in erster Linie technische Probleme lösen müssen um überhaupt Distanzlernen betreiben zu müssen. Vorhandene funktionierende Dienste müssten nach Aspekten des Datenschutzes geprüft werden und dann schnell und unkompliziert zur Verfügung gestellt werden. Alternativ müssten die eigens erstellten Plattformen so nachgerüstet werden, dass sie ähnlich stabil laufen und einfach nutzbar sind. Das halte ich allerdings für deutlich schwieriger…
  2. Wir sollten uns von den ganzen Prüfungen verabschieden. Zumindest sollten sie nicht die Priorität für die nächsten Monate haben. Wir sollten für SchülerInnen nun Lernsituationen schaffen und wenn uns das gelingt, dann sollten wir das nicht durch Prüfungsdrück wieder zerstören.
  3. Schulen müssen im Rahmen der Möglichkeiten ein paar Freiheiten bekommen: Viele Schulen haben in den vergangenen Monaten gute und tragfähige Konzepte erstellt. Zuweilen können diese aber am Ende nicht durchgeführt werden, weil sie von der Politik unterbunden werden.
  4. Politiker müssen sich bei Schulen informieren, die sinnvolle Konzepte entwickelt haben. Das Rad muss nicht neu erfunden werden! Viele LehrerInnen und Schulleitungen haben gute und tragfähige Konzepte erstellt. Politiker, die in der Materie nicht so drin stecken, sollten die fragen, die ganz nah dran sind und funktionierende Ideen entwickelt haben.
  5. Die vielfach angesprochenen „Soforthilfen“ die vielfach noch nicht ausgezahlt wurden sollten endlich unbürokratisch angewendet werden: Digitale Endgeräte für alle SchülerInnen – und zwar schnell, nicht erst nach der Pandemie!
  6. Schulen müssen sich besser vernetzen: Es macht keinen Sinn, dass viele Schulen alles von Grund auf neu erfinden, während andere schon tragfähige Konzepte haben. #twitterlehrerzimmer
  7. Best Practice: Was funktioniert, muss geteilt werden! Wenn LehrerInnen schöne Ideen, tolle Projekte, gute Aufgabenformate, … haben, dann müssen die in die Breite! Auf diese Weise können alle ihren Horizont erweitern und Ideen sammeln, mit denen sie ihren Distanzunterricht verbessern können! #twitterlehrerzimmer

Und dann...?

Dann kommen wir hoffentlich halbwegs gut durch die Coronazeit.

Und im Anschluss werden hoffentlich die anderen Defizite im deutschen Bildungssystem nicht vergessen und angegangen …

Jonas

Gymnasiallehrer an einer IGS, Interesse an digitaler Unterrichtsentwicklung & Mathematikdidaktik. Vater und Hobby-Läufer