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Wie gelingt effektiver Hybridunterricht? Präsenz- und Fernlernen sinnvoll verknüpfen

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Immer mehr Präsenzunterricht!

Nach vielen Wochen mit (nahezu) komplettem (digitalem) Fernunterricht sind inzwischen fast alle SchülerInnen zumindest zeitweise wieder in der Schule.

Viele Beteiligte atmen nun tief durch und sagen sinngemäß:

„Endlich wieder Unterricht in der Schule!“. 

Grundsätzlich werden dieser Aussage wohl die meisten SchülerInnen, LehrerInnen und Eltern zustimmen!

Denn die für den Unterricht so wichtigen sozialen Komponenten haben in den letzten Wochen weitgehend gefehlt und können auch durch guten digitalen Fernunterricht nicht oder nur sehr begrenzt ersetzt werden. Zudem waren einige SchülerInnen nicht oder nur sehr schwer zu erreichen.

Viele (nicht alle) Probleme des reinen Fernunterrichts können durch den nun schrittweise wieder einsetzenden Präsenzunterricht also (in Teilen) gelöst werden. 

Problematisch kann die getroffene Aussage allerdings werden, wenn sie impliziert, dass nun kein didaktisch durchdachter Fernunterricht (mehr) durchgeführt werden muss und wenn die Phasen des Fernunterrichts und des Präsenzunterrichts nicht zusammen gedacht und geplant werden!

Wenn die Aussage „endlich wieder Unterricht in der Schule“ bedeutet, dass nun eine Woche Präsenzunterricht durchgeführt wird und im Anschluss für die Woche darauf klassische „Hausaufgaben“ aufgegeben werden, dann wird kaum etwas besser, vielleicht sogar schlechter. Viel mehr können dann die eigentlich vorhandenen Vorteile des einsetzenden Präsenzunterrichts sogar wieder in den Hintergrund rücken!

Nachteile des Fernunterrichts und Nachteile des Präsenzunterrichts werden verstärkt

Unter der Prämisse, dass durch die Wiedereinführung des Präsenzunterrichts für die Passagen des Fernunterrichts keine didaktisch durchdachte Planung mehr notwendig ist können die Nachteile beider Unterrichtsarten verstärkt und ihrer jeweiligen vorhandenen Vorteile beraubt werden!

Was kann schiefgehen?

Die Gefahren, wenn man nun versucht zu „alten Mustern“ zurückzukehren, obwohl es eben doch noch nicht der Präsenzunterricht ist, wie er vor Corona einmal war, können sein:
(An einigen Stellen bewusst „überspitzt“ – all das muss nicht (und schon gar nicht gleichzeitig) passieren)

  • Die Präsenzphasen verkommen zu reinen Phasen der „Wissensvermittlung“ (in Zeiten von Corona mit den entsprechenden Hygieneregeln oft frontal). Soziale Interaktion tritt so in den Hintergrund.
  • Das Ziel der Wissensvermittlung in der Präsenzphase kann werden, dass in der Präsenzphase genug Wissen „eingetrichtert“ wurde, sodass zuhause geübt werden kann. Dadurch wird das Tempo entsprechend angezogen.
  • Zuhause wird dann schlicht das bereits Gelernte wiederholt oder angewandt – eine Art „sehr sehr lange Hausaufgabe„. Individuelle Erarbeitungen zuhause sind dann nicht mehr möglich.
Wenn das passiert, dann treten wichtige Vorteile der Präsenzphase (besonders die Möglichkeit sozial zu interagieren, zu diskutieren etc.) in den Hintergrund. Und auch die Vorteile des Fernunterrichts (besonders die Möglichkeit, neue Inhalte im eigenen Tempo zu erarbeiten) können so verloren gehen!

Die beiden Lernphasen werden ihrer Vorteile beraubt

Betrachten wir die (möglichen) Vorteile beider Lernphasen:
(Dabei sind die Vorteile an einigen Stellen idealisiert – nicht immer (vielleicht sogar nie?) können alle Vorteile gleichzeitig und für alle SchülerInnen eintreten.)

Vorteile des Präsenzunterrichts

  • Es ist (wieder) eine soziale Interaktion möglich.
  • SchülerInnen können sich (direkt) gegenseitig unterstützen.
  • LehrerInnen bemerken Probleme und Unsicherheiten schneller.
  • Diskussionen sind besser möglich.
  • Das Lernen in einer nachfolgenden Onlinephase ist besser planbar.

Vorteile des digitalen Fernunterrichts

  • SchülerInnen könne in ihrem ganz eigenen Tempo lernen.
  • SchülerInnen können dann lernen, wenn es in ihren Tagesablauf passt und wenn sie gerade gut lernen können.
  • Videos, Bilder, Texte, Audioaufnahmen etc. können sehr flexibel und individuell eingesetzt werden.
  • Eine individuellere Unterstützung (z.B. per Videokonferenz oder Telefonat) ist möglich, da die meisten SchülerInnen mit dem bereitgestellten Material gut eigenständig arbeiten können.
  • SchülerInnen können selbst Schwerpunkte setzen.

Die beiden Lernphasen können in ihren Nachteilen verstärkt werden

Nachteile des Präsenzunterrichts

  • Das individuelle Lerntempo der SchülerInnen kann nur schwer berücksichtigt werden – eine Individualisierung der Lernprozesse ist schwierig.
  • Das Vorwissen zum jeweiligen Themengebiet der SchülerInnen muss weitgehend gleich sein – die SchülerInnen dort abzuholen, wo sie gerade stehen, ist schwierig.
  • Alle SchülerInnen müssen zur gleichen Zeit lernen – unabhängig, ob es ihnen gerade gut gelingen kann, oder nicht.

Nachteile des digitalen Fernunterrichts

  • Soziale Interaktionen kann es nur sehr begrenzt geben.
  • Wenn SchülerInnen Probleme mit der Selbstorganisation und Selbskontrolle haben, ist dies häufig sehr problematisch.
  • Mangelnde digitale Ausstattung kann Bildungsungerechtigkeiten massiv verstärken.
  • Wenn SchülerInnen digital schwer zu erreichen sind können sie fast vollkommen von der Bildfläche verschwinden.
  • Probleme der SchülerInnen bei gestellten Aufgaben oder etwaige Missverständnisse bleiben häufiger unbemerkt.

Vorteile nutzen statt Nachteile zu verstärken!

Wenn man sich den Vorteilen beider Lernanlässe bewusst wird, fällt es leichter, die jeweiligen Vorteile zu nutzen statt etwaige Nachteile zu verstärken.

Die Theorie, die Vorteile von Präsenzphasen und Fernunterricht gezielt zu nutzen ist nicht neu! Unter dem Begriff „Blended Learning“ oder „Hybridunterricht“ findet man schon längere Zeit genau die Ideen und Ansätze, die man jetzt sehr sinnvoll nutzen kann.

Will man versuchen, „Blended Learning“ zu betreiben, so muss man versuchen die Vorteile des Präsenz- und Fernunterrichts zu nutzen und sinnvoll zu verknüpfen!

Dazu ist es notwendig…

  • Die beiden Lernphasen durchgängig zu gestalten und nicht voneinander abzukoppeln – Phasen des Präsenzunterrichts knüpfen sinnvoll an Phasen des Fernunterrichts an und umgekehrt.
  • In der Präsenzphase nicht nur „Wissensvermittlung“ zu betreiben, sondern bewusst die Stärken (Soziale Interaktionen, Diskussionen, …) zu nutzen. Lernen und Vorbereitung für diese Phasen der sozialen Interaktion und für Diskussionen kann dann z.B. in der „Fernlernphase“ passieren!
  • In der „Fernlernphase“ nicht nur „Üben“ zu betreiben, sondern bewusst die Stärken (Nutzen von verschiedenen Medien, individuellere Erarbeitung, Erarbeitung von (neuen) Inhalten in eigenem Tempo, …) zu nutzen. Eine Vertiefung, Kontrolle und Zusammenführung kann dann z.B. in der „Präsenzphase“ passieren!
  • Medien und Methode zu wählen, die die Vorteile der jeweiligen Phase nach Möglichkeit unterstützen. 
  • Motivation und Spaß am Lernen der SchülerInnen zu erhalten und zu fördern.
 
Mit anderen Worten:
Wir brauchen trotz (oder gerade wegen?) nun wieder einsetzendem Präsenzunterricht eine gute Didaktik des Fernunterrichts. Und wir müssen die beiden Lernphasen sinnvoll verknüpfen und gestalten.
Dabei muss man nicht gleich „zaubern“ aber man sollte versuchen, die Phasen des Präsenzunterrichts und des Fernunterrichts gemeinsam zu denken und zu planen, die Phasen sinnvoll zu verbinden und sich der jeweiligen Vorteile bewusst zu sein und sie zu nutzen.
 
Das Rad neu erfinden muss man dabei auch nicht: „Blended“ Learning bietet genau diese Konzepte für einen „hybriden“ Klassenraum. Man muss sich nur trauen, neue Wege zu bestreiten!
Packen wir es an!
 
Anmerkung: Zum Blended Learning kann man sich z.B. hier informieren:
 
 

Jonas

Gymnasiallehrer an einer IGS, Interesse an digitaler Unterrichtsentwicklung & Mathematikdidaktik. Vater und Hobby-Läufer